Lieber Herr Kretschmann,
als grüner Ministerpräsident in einem wirtschaftlich starken Bundesland, das von Wirtschaftsbranchen dominiert wird, die man nicht unbedingt mit Nachhaltigkeit in Verbindung setzten würde, ist es sicher oft schwierig ein gutes Gleichgewicht zwischen grünen Linien und Arbeitsplatzsicherheit zu finden. Derzeit wird dies durch die Diskussion um die sog. „Abwrackprämie“ sehr deutlich. 2013 sagten Sie in einem Interview, dass wir unser Lebens- und Wirtschaftsmodell mit den Lebensgrundlagen vereinbar machen müssten[1]. Diese Aussage hat heute mehr Bedeutung denn je und es liegt uns besorgten Eltern und Großeltern sehr am Herzen, Ihnen unsere Besorgnis in Bezug auf die Abwrackprämie mitzuteilen.
Unserer Meinung nach braucht Deutschland jetzt eine klare Stellungnahme für mehr Klimaschutz: Inzwischen wissen wir alle, dass die Macht der Kipppunkte im Klimasystem bei weitem unterschätzt wurden. Und wir spüren es am eigenen Leib, kein Aprilwetter mehr, kaum Schnee im Winter, versiegende Quellen, vertrocknete Wälder und Dürren im Sommer. Und auch die Pandemie hat uns gezeigt, dass mit der Globalisierung mit 8 Milliarden Menschen auf der Erde das Ende der Fahnenstange bald erreicht ist. Wir brauchen einen mutigen Blick in die Zukunft und den Willen, klare Zeichen zu setzten. Dies können Sie, Herr Ministerpräsident tun, indem Sie sich mutig und engagiert gegen die Abwrackprämie einsetzen. Zeigen Sie, als Ministerpräsident des starken Bundeslandes Baden-Württemberg, den Menschen und auch Ihren Wählern, dass Baden-Württemberg Zukunft kann.
Wie hieß es doch vor nicht allzu langer Zeit „Wir können alles außer Hochdeutsch“. Dieser Spruch soll inzwischen nicht heißen müssen „Wir können alles außer Zukunft“.
Hochachtungsvoll und besorgt, die Eltern und Großeltern, die sich für ihre Kinder und Enkel eine lebenswerte Zukunft wünschen, die Sie als grüner Ministerpräsident entscheidend mitgestalten können.
Parents for Future Heidelberg
P.S. Auf den folgenden Seiten möchten wir weitere Gründe gegen eine „Abwrackprämie“ erläutern.
Weitere wirtschaftliche und soziale Gründe gegen eine „Abwrackprämie“
(neben dem im Hauptscheiben erwähnten Klimaschutz und Nachhaltigkeitsgründen)
- Eine Kaufprämie setzt auf Vergangenheit, statt Zukunft: Obwohl seit Jahren klar ist, dass die Zukunft nicht bei fossilen Brennstoffen liegt, haben die großen Autokonzerne in Deutschland konsequent auf immer größer werdende Diesel und Benziner gesetzt, mit denen kurzfristig mehr Gewinn zu erreichen war, statt auf zukunftsfähige, smarte Technologien, wie in Asien oder den USA. Diese Art kurzfristig zu wirtschaften darf nicht belohnt werden. Eine Kaufprämie für solche Unternehmen wäre nicht nur ein fatales Zeichen für Deutschland als Wirtschaftsstandort, sondern auch ein klares Zeichen an die Wähler (die lauf einer aktuellen, Umfrage mit einer großen Mehrheit gegen eine solche Prämie gestimmt haben[2]): Wir setzen auf Vergangenheit, folgen nicht der Meinung der Wähler und lassen uns durch Lobbyarbeit beeinflussen.
- Auch wenn in Baden-Württemberg laut Statistischem Bundesamt ca. 10% der Arbeitsplätze oder der wirtschaftlichen Wertschöpfung des Landes mit der Automobilindustrie in Zusammenhang stehen[3], stellt eine Kaufprämie als Unterstützung der deutschen Autokonzerne ein ganz falsches Zeichen dar. Es zeigt den Konzernen, dass sie tun können, was sie wollen: Selbst wenn sie Innovation und Nachhaltigkeit vernachlässigen und wissentlich betrügen wie im Dieselskandal, können sie sich sicher sein, immer von der deutschen Politik unterstützt zu werden, sogar von der grünen.
- Eine Kaufprämie ist ungerecht I: 2009 zahlte jeder Einwohner ca. 60 Euro, davon bekamen nur 2% aller Einwohner 2500 Euro Zuschuss für Ihren Neuwagen[4]. So wurde der Absatz 2009 deutlich ankurbelt (allerdings wurden in Folge 2010 unterdurchschnittlich wenige Autos gekauft). Eine Familie mit 2 Kindern musste ca. 240 Euro zahlen, damit sehr wenige, die es sich leisten konnten, den Neuwagenkauf vorzogen und so 2500 Euro bekamen. Doch damit nicht genug: Die großen Autokonzerne und deren Aktionäre nagen nicht am Hungertuch. Manager-Boni und Dividenden werden selbst in Zeiten von Corona bezahlt und gleichzeitig jammert man über wirtschaftliche Einbußen. Aktionäre verstehen es, wenn die Dividende gekürzt wird und das Management könnte mit gutem Beispiel vorangehen und auf Boni dieses Jahr verzichten, bevor es durchzusetzen versucht, dass Deutschlandweit 11,6 Mio Familien[5] 180 bis 240 zahlen, um Dividenden und Boni zu gewährleisten.
- Eine Kaufprämie ist ungerecht II: Die am meisten von der Corana-Krise betroffenen Firmen sind Kleinunternehmen, wie Einzelhandel, Gastronomie, Startups und Kleinunternehmen, die kein finanzielles Polster wie die großen Autokonzerne haben. Zwar gab es für Kleinstunternehmen bis zu 15.000 Euro Soforthilfen, doch decken diese nur Bruchteil der laufenden Kosten eines Unternehmens ab. Junge Unternehmen, auch solche, mit einemzukunftsfähigen Wirtschaftsmodell, verfügen über kein großes finanzielles Polster. 30% der Beschäftigten in Baden-Württemberg arbeiten in Unternehmen mit weniger als 50 Angestellten[6].
- Eine Kaufprämie stellt einen Eingriff in die Marktwirtschaft dar, der kleine und mittlere Unternehmen zugunsten der großen etablierten Firmen behindert. Große Firmen betreiben Lobby und schaffen es regelmäßig die Politik subtil oder sehr direkt zu beeinflussen. Kleinbetriebe und auch junge, zukunftsträchtige Branchen habe diese Lobby nicht.
- Von der Kaufprämie 2009 profitierten deutsche Hersteller nur zu 26%. Die meisten KFZ wurden von Herstellern außerhalb Deutschlands erworben[7].
[1] Interview mit Ministerpräsident Winfried Kretschmann: https://www.youtube.com/watch?v=SgqFSYNP21k
[2] https://www.faz.net/aktuell/wirtschaft/mehrheit-der-buerger-ist-gegen-kaufpraemie-fuer-autos-16759373.html
[3] https://www.statistik-bw.de/GesamtwBranchen/UnternehmBetriebe/040241xx.tab?R=LA
[4] https://de.wikipedia.org/wiki/Umweltpr%C3%A4mie (Berechnungsgrundlage: 5 Mrd. Euro Finanzmittel, Bevölkerung Deutschland 2009: 82 Mio., Zahl Anträge: 1.706.839).
[5] https://de.statista.com/themen/98/familie/
[6] https://www.statistik-bw.de/GesamtwBranchen/UnternehmBetriebe/040230xx.tab?R=LA
[7] https://de.statista.com/statistik/daten/studie/4074/umfrage/profiteure-der-abwrackpraemie/
Titelbild: CC BY-SA 3.0-de, Olaf Kosinsky, Wikimedia Commons.