Die Studie der Agora Energiewende – Eine Analyse

Agora Energiewende Klimaneutrales Deutschland

Es gibt derzeit mehrere Studien, die beleuchten, welche Klimaziele für die Einhaltung des Pariser Abkommens notwendig sind und wie Klimaziele überhaupt erreicht werden können. Eine von Politikern gelegentlich zitierte Studie ist die der Agora Energiewende, die wir uns hier genauer angeschaut haben.

Die wesentlichen Punkte in Kürze

Quelle: https://static.agora-energiewende.de/fileadmin2/Projekte/2020/2020_10_KNDE/A-EW_195_KNDE_WEB_V111.pdf

Wer ist die Agora Energiewende

Die Agora Energiewende ist eine 2014 gegründete Denkfabrik (juristische Form: gGmbH). Mitglieder sind (siehe 1; Stand 2019) Mitglieder von Parteien und Unternehmen (insgesamt 16 Mitglieder), sowie Gewerkschaften (2 Mitglieder). Andere Institutionen sind mit je einem Mitglied vertreten (Bundesnetzagentur, Internationale Energieagentur, BUND, PIK, Verbraucherzentrale NRW). Finanzierung: Hinter der Agora Energiewende stehen die Stiftung Mercator (1996 von der Handelsfamilie Schmidt-Ruthenbeck gegründet) und die European Climate Foundation (ECF, finanziert durch verschiedene private Stiftungen).

Die Studie

Die Studie wurde auf der Seite der Agora Energiewende publiziert. Sie unterlag keinem wissenschaftlichen Review, wie er für Fachpublikationen üblich ist, sondern wurde nach Erstellung direkt publiziert. Die Studie formuliert, wie Deutschland Klimaneutralität bis 2050 erreichen kann (S. 9f und 33; wobei damit eine Treibhausgas (THG) Reduktion um 95% bis 2050 gemeint ist, es wird angenommen, dass die restlichen Emissionen durch CO2 Abscheidung rückgewonnen werden). Ziel der Studie war es nicht, zu zeigen, was Deutschland tun müsste, um die in Paris beschlossenen Klimaziele zu erreichen [2]. Das ist ein grundlegender Unterschied zu anderen Studien (siehe unten).  In der Studie wird also nur ein Pfad beschrieben, wie Klimaneutralität bis 2050 erreicht werden könnte. Dies soll in einer ersten Etappe mit einer THG-Reduktion von 65% der nationalen Emissionen bis 2030 im Vergleich zu 1990 erreicht werden. Es wird gezeigt, dass dies wirtschaftlich im Rahmen üblicher Investitionszyklen machbar ist. Dabei werden verschiedene Annahmen getroffen, beispielsweise Änderungen der EU Klimaziele, ein früherer Kohleausstieg bis 2030, Änderungen des Emissionshandels, oder ein bestimmtes Wirtschaftswachstum oder Sanierungsrate.

Nachvollziehbarkeit

Die Publikation der Agora Energiewende scheint auf verschiedenen anderen Studien zu basieren, die beispielsweise im Auftrag des BMU oder UBA erstellt wurden. Ergebnisse sind aber nur schwer zuzuordnen. Beispielsweise wird auf Seite 11 der Publikation eine Graphik mit Reduktionszielen gezeigt. Als Referenz wir „Prognos, Öko-Institut, Wuppertal Institut (2020)“ angegeben. Diese Publikation ist nicht in der Liste der Quellen enthalten. Dort findet man aber ähnliche Referenzen aus dem selben Jahr: 

  • Öko-Institut et al. (2020, finanziert vom BMU; möglichweise ist stattdessen auch gemeint: Öko-Institut, Agora Energiewende (2020, finanziert vom UBA)
  • Matthes et al. (2020, ein Autor des Wuppertal Instituts, aber in dieser Publikation geht es eher um den Vergleich mit Japan)
  • Prognos (2020; im Auftrag vom BMWi; diese Publikation scheint inhaltlich zu passen)

Die in diesem Beispiel angegeben Zahlen (Graphik auf S. 11 der Publikation der Agora Energiewende) sind allerdings nicht in den aufgelisteten Publikationen zu finden: In der Publikation von Prognos (2020; Tab. 2 S. 13) wird ein THG Emissionen von 598 Mio. für 2030 angenommen und ein Reduktionsziel von -55% über alle Sektoren angegeben. Diese Zahlen stimmen nicht mit denen aus der Publikation der Agora Energiewende (Abb. auf S. 11: 438t für 2030, Reduktionsziel von 65% für 2030) überein. Dieses Beispiel zeigt, dass die Nachvollziehbarkeit der präsentierten Resultate sehr schwierig, bzw. nicht möglich ist und dass auch nicht klar ist, wie realistisch getroffene Annahmen sind. Auch Vertrauensbereiche, die zeigen, wie realistisch Ergebnisse oder Annahmen sind, fehlen.

Ein weiteres Beispiel ist die Aussage, dass die Studie „aus Kostensicht und unter Berücksichtigung der Umsetzbarkeit optimierten Weg“ darstelle (S. 9, 24, 33). Allerdings werden Kosten in der Studie nicht gezeigt, genauso wenig, wie deren Berechnung. Es ist also völlig unklar, wie die Aussage, dass die Studie „aus Kostensicht und unter Berücksichtigung der Umsetzbarkeit optimierten Weg“ darstelle, zustande kommt. 

Einem wissenschaftlichen Review, der die Nachvollziehbarkeit sicherstellen soll und wie er in Fachpublikationen üblich ist, hätte die Publikation der Agora Energiewende vermutlich nicht Stand gehalten. Die Quellenangaben enthalten vor allem nicht überprüfte Berichte (d.h. ohne sog. Peer Review). Wer ein Beispiel einer wissenschaftlich fundierten Studie sehen möchte, dem sein die Berichte des IPCC empfohlen (der Bericht von 2018 enthält beispielsweise über 5000 Quellen aus wissenschaftlichen Fachzeitschriften, durch die Aussagen belegt und eingeordnet werden).

Es sollte noch angemerkt werden, dass die Projektpartner (wie das Wuppertaler Institut, das generell durchaus wissenschaftlichen Ansprüchen genügende Berichte verfasst, siehe unten) mit Sicherheit eigene Abschlussberichte verfasst haben, die möglicherweise mehr Details enthalten. Diese hat die Agora Energiewende jedoch nicht veröffentlicht.

Künftige Schäden durch den Klimawandel

Ein Aspekt, der in der Publikation der Agora Energiewende völlig fehlt, sind die Kosten durch den Klimawandel. In der Studie heißt es, die Studie stelle einen „aus Kostensicht und unter Berücksichtigung der Umsetzbarkeit optimierten Weg dar.“ (S. 9). Jedoch wurden die Kosten des Klimawandels und dessen Folgen für die Machbarkeit scheinbar nicht berücksichtigt, d.h. sie werden zumindest nicht erwähnt (und wie oben genannt, wird zur Berechnung der Kosten gar nichts geschrieben). Näheres zu den Kosten durch den Klimawandel finden sich woanders [3], hier seien nur ein paar Beispiele für kurzfristige Kosten (bis 2050) genannt:

  • Hitzewellen führen zu vielen Hitzetoten (z.B. 2003: 80 000 Hitzetote in der EU [4] oder 2018: 8000 Hitzetote in Deutschland [5])
  • Dürren und damit verbundene Ernteausfälle führen zu hohen finanziellen Schäden (z.B. 12.3 Mrd. € in der EU [6]), genauso wie Waldschäden (2018: 5.4 Mrd. € in Deutschland [7])
  • Der Klimawandel führt zu Massenmigration, wodurch der wirtschaftliche Wandel in Zukunft schwieriger werden könnte (die IOM rechnet bis 2050 mit 405 Flüchtlingen weltweit [8], schon jetzt sind die meisten Flüchtlinge Klimaflüchtlinge)

Dies sind einige Beispiele für Kosten, die berücksichtigt werden müssten.

Andere relevante Studien

Es gibt einige weitere Studien, die in diesem Kontext herangezogen werden können:

Emissions Gap Report 2019 [9]: Dieser Bericht hat ein wissenschaftliches Niveau. Wissenschaftliche Quellen sind angegeben, d.h. Ergebnisse sind nachvollziehbar und überprüfbar. Vertrauensbereiche sind angegeben, so dass man die Verlässlichkeit der Ergebnisse einschätzen kann. Das Ziel des Berichtes war es zu berechnen, wie viel mehr Emissionen eingespart werden müssten, um die Klimaziele von Paris zu erfüllen. Das Ergebnis war, dass ab 2020 jedes Jahr 7.6% eingespart werden müsste, um Paris zu erfüllen, was für Deutschland etwa einer Reduktion um 75% bis 2030 im Vergleich zu 1990 entspricht [10] (wobei bei den für Deutschland angegebenen Emissionen, solche aus der internationalen Luftfahrt und andere bislang nicht gezählt werden). Nach dem neuesten Emissions Gap Report von 2020 [11], sind wir derzeit trotz COVID19 und trotz aller bisherigen, zögerlichen Bemühungen noch auf einem Emissionspfad, der bis 2100 zu >3°C führt.

Wuppertaler Studie von Kobiela et al.(2020) [12]: Diese Studie hat ebenfalls ein wissenschaftliches Niveau, indem die Nachvollziehbarkeit durch Angabe wissenschaftlicher Quellen gegeben ist. Annahmen werden klar formuliert. Die Quellen enthalten viele wissenschaftliche Fachartikel, aber auch einige nur im Internet veröffentlichte Quellen. Das Ziel der Studie war zu beschreiben, wie Deutschland die Klimaziele von Paris einhalten könnte. Dabei wurde aus praktischen Gründen die Landwirtschaft noch nicht einbezogen (das Budget der Studie schien limitiert zu sein). Die Studie zeigt, dass ein Einhalten der Pariser Ziele mit entschlossenen, strukturellen Änderungen möglich ist (die Ziele nicht einzuhalten ist teuerer [13]).

Umweltrat 2020 [14]: In dieser Studie wird ein Paris-kompatibles THG-Budgets quantifiziert und es wird gezeigt, wie Deutschland dieses einhalten könnte. Auch diese Studie hat ein wissenschaftliches Niveau und die Nachvollziehbarkeit ist durch Angaben wissenschaftlicher Quellen gewährleistet. Das maximale Paris-kompatibles CO2-Budget von Deutschland beträgt demnach 6,7 Gt CO2 ab 2020. Dieses CO2-Budget kann als gut begründete, Paris-kompatible Obergrenze angesehen werden. Der Bericht weist darauf hin, dass in Art. 4 Abs. 3 des Pariser Klimaabkommens festgelegt wird, dass die einzureichenden Klimaschutzbeiträge die „höchstmögliche Ambitionsstufe“ ausdrücken sollen („reflect its highest possible ambition“). Angesichts schwerwiegender Klimafolgen sei es außerdem geboten, das Vorsorgeprinzip anzuwenden. Zum erhöhten Risiko tiefgreifender Erdsystemänderungen ist unbedingt ein Sicherheitsabstand einzuhalten. Die Machbarkeit wird mit Verweis auf andere Quellen aufgezeigt (beispielsweise Studien des Umweltbundesamtes). Auch die Wirtschaftlichkeit wird diskutiert. Unsicherheiten werden transparent angegeben (beispielsweise bzgl. des Budgets). Konkrete Vorschläge werden für die verschiedenen Sektoren gemacht.

Zusammenfassung

  • Zusammengefasst orientiert sich die Studie der Agora Energiewende nicht an den Pariser Klimazielen, sondern an einer CO2-Neutralität bis 2050.
  • Die angegebenen Reduktionsziele von -65% reichen in der Folge bei weitem nicht aus, um die Pariser Klimaziele zu erreichen. Dies ist anhand der jährlichen Emissionen von Deutschland und des THG-Budgets klar ersichtlich. 
  • Die in der Studie genannten Ergebnisse sind oft nicht nachvollziehbar. Quellenangaben scheinen zumindest teilweise fehlerhaft zu sein und es werden vorwiegend nicht wissenschaftliche Quellen verwendet (meist nur im Web veröffentlichte Dokumente).
  • Es gibt mehrere andere Studien, die (i) sich an den Pariser Klimazielen orientieren und (ii) wissenschaftlich fundiert und nachvollziehbar zeigen, wie diese Klimaziele erreicht werden können.

Quellen

  1. Dem unaufmerksamen Leser mag es gelegentlich so vorkommen, als ob die Pariser Ziele im Fokus standen (Beispielsweise durch allgemeine Aussagen wie (S. 9): „Um die Erhöhung der globalen Durchschnittstemperatur auf „deutlich unter 2 Grad“ zu begrenzen, wie es das Pariser Klimaschutzabkommen vorsieht, müssen die globalen Treibhausgasemissionen schnell und deutlich sinken.“), doch das ist nicht der Fall.
  2. https://de.wikipedia.org/wiki/Agora_Energiewende
  3. http://climatefactsnow.org/die-kosten-des-klimawandels/
  4. Robine J.-M. et al. 2005. Report on excess mortality in Europe in Summer 2003. Heat Wave Project. EU Community Action Programme for Public Health: https://ec.europa.eu/health/ph_projects/2005/action1/docs/action1_2005_a2_15_en.pdf
  5. https://www.spektrum.de/news/immer-mehr-hitzetote-in-deutschland/1803545
  6. Münchner Rück: http://docplayer.org/24066229-Grosse-naturkatastrophen-der-letzten-jahre-brachten-rekorde-in-hinsicht-auf.html
  7. https://www.t-online.de/nachrichten/panorama/id_84638844/duerre-trockenheit-steuert-auf-absoluten-ausnahmewert-zu.html
  8. https://www.iom.int/wmr/2018
  9. https://www.unenvironment.org/resources/emissions-gap-report-2019
  10. Berechnet nach https://de.statista.com/statistik/daten/studie/76558/umfrage/entwicklung-der-treibhausgas-emissionen-in-deutschland/
  11. https://www.unenvironment.org/emissions-gap-report-2020
  12. https://fridaysforfuture.de/studie/
  13. https://www.pik-potsdam.de/de/aktuelles/nachrichten/klimakosten-sind-am-geringsten-wenn-die-erwaermung-auf-2degc-begrenzt-wird
  14. https://www.umweltrat.de/SharedDocs/Downloads/DE/01_Umweltgutachten/2016_2020/2020_Umweltgutachten_Kap_02_Pariser_Klimaziele.pdf?__blob=publicationFile&v=21