Wir alle wollen ambitionierten Klimaschutz, der den Pariser Zielen entspricht, und hin zu einem Leben innerhalb der planetaren Grenzen. Wir verfolgen diese Ziele, weil es die einzig richtige Lebensform ist und fühlen für das einzustehen, was richtig ist. Dass die Regierung und viele Politiker nach wie vor kaum und in jedem Fall viel zu wenig handeln, macht uns wütend und fassungslos. Wir kämpfen gegen die, die für eine fossile Wirtschaft stehen, für eine Welt von gestern und bekommen hunderte Likes in Sozialen Medien. Wir sagen, wir haben Platz, reden von MAPA, Klimagerechtigkeit und verteufeln Kohlelobby zurecht. Doch können wir so gewinnen?
Ein kurzer Hinweis zur Achtsamkeit
Wer weiter liest, wird sicher an manchen Stellen merken, dass ihr/ihm etwas unangenehm ist oder man überhaupt nicht einverstanden mit dem Geschriebenen ist. Doch das ist durchaus gut, denn wenn man sich angegriffen fühlt, ist es ein sicheres Zeichen dafür, auf ein persönlich wichtiges Gedankenkonzept gestoßen zu sein, über das man sich selbst definiert (frei nach Eckart Tolle[1]). Oder in den Worten der Psychologists for Future[2] und psychologischer Literatur[3] verteidigt man sein Weltbild. Das Bewusstsein über unsere eigene Gedankenwelt und Motivation hilft, Klimaschutz besser voranzubringen und zu kommunizieren. Daher gut, hier erst einmal durchzuatmen und beim Lesen auf entstehende Gefühle zu achten.
Kommunikation ist das A und O
Zunächst war die Kommunikation der Fridays for Future Bewegung relativ einfach: Kinder und junge Erwachsene forderten eine Zukunft ein. Dieses grundlegende Recht auf Zukunft spiegelt Grundwerte unserer Gesellschaft wider und jeder Mensch dürfte es teilen, egal mit welchem Hintergrund. #AlleFürsKlima unterstrich dies im September 2019. Die einzige Kritik war entweder eine Leugnung des Sachverhaltes (Klimawandel) oder ein Absprechen der notwendigen Sachkenntnis (Kinder sollten es lieber Profis überlassen, o.ä.).
Doch seit den ersten Klimastreiks in Deutschland hat sich viel verändert. Denn in der For Future Bewegung wurden immer mehr Menschen die vielen Zusammenhänge zwischen Klimawandel, Lebenstil, Wirtschaftsform, Biodiversität, Kolonialismus, Migration und vielem mehr bewusst. Und da war es fast natürlich, dass aus der allgemeinen Forderung auf Zukunft, viele Einzelforderungen wurden. Inzwischen ist es vollkommen normal, dass auf Demos und in Interviews diese Themen angesprochen werden. Kapitalismus wird im Grundsatz kritisiert und System Change gefordert. Man hört „Wir haben Platz“ und struktureller Rassismus wird angeprangert. Und tatsächlich, wer sich mit dem Thema befasst hat, erkennt, dass all diese Facetten unterschiedliche Seiten desselben Würfels sind, dass alles zusammen hängt und nur ein grundsätzlicher Paradigmenwechsel unser Wohlergehen auf der Erde erhalten kann. Das Problem ist aber, dass das viele nicht nachvollziehen können. Wer aus der breiten Bevölkerung versteht, dass mit der Abschaffung des Kapitalismus nicht die Abschaffung des Geldes gemeint ist? Wer weiß was MAPA sind oder was mit Klimagerechtigkeit wirklich gemeint ist? Wer nimmt sich außerhalb der For Future Bubble die Zeit, die Zusammenhänge zwischen Wirtschaftsform, Kolonialismus und Klimawandel zu verstehen? Die Folge ist, dass Aussagen zunehmend als radikal empfunden werden. Dass viele Menschen For Future als eine Linke Gruppierung sehen, obwohl sie eigentlich jeden Menschen anspricht. Es hilft also nicht, nur gegen Kapitalismus zu sein, einen Systemwechsel zu fordern oder sich für Flüchtlinge einzusetzen. Es ist stattdessen immens wichtig, zuallererst zu kommunizieren, was gemeint ist, und wie die Dinge zusammenhängen. Wenn jemensch sagt, er sei ein Antikapitalist, werden vermutlich die meisten Menschen außerhalb For Future ihn als einen Marxisten, o.ä. sehen, der der DDR hinterhertrauert und von Wirtschaft keine Ahnung hat. Wenn sie/er allerdings sagt, sie/er sei dafür, dass Arbeit fair bezahlt werden muss, oder dass Manager nicht unbegrenzt auf Kosten der Mitarbeiter, Kunden und Umwelt Geld scheffeln dürfen und für Umweltschäden und Emissionen zahlen müssen, wird jeder übereinstimmen. Genau hier sieht man, wie unterschiedlich eine Forderung (Überwindung des Kapitalismus) empfunden wird, je nachdem, ob anschaulich erklärt wird, was genau gemeint ist oder nicht. Man könnte das Wort Kapitalismus, das bei vielen etwas auslöst, sogar komplett weglassen und würde die Nachricht trotzdem (oder vielleicht noch besser) transportieren. Dieses Beispiel zeigt, dass wir Menschen außerhalb unserer Blase kaum erreichen, wenn wir nicht sehr viel mehr erklären.
Wir fischen vor allem in den eigenen Reihen
Die Studie Umweltbewusstsein Deutschland untersucht im zwei-Jahres-Abstand, wie wichtig den Deutschen Umwelt- und Klimaschutz ist. Dazu wird die Bevölkerung in sog. „Milieus“ eingeteilt, wie den „Bürgerlichen Mainstream“, die „Etablierten Milieus“ (Leistungsorientierte Vielverdiener) und andere. Wenn man sich die Resultate und Daten anschaut, wird klar, dass die For Future Bewegung vor allem die sog. „Kritisch-kreative Milieus“ (die Dinge kritisch hinterfragen und verantwortlich und sinnvoll leben möchten) und die „Junge Idealistische“ (nachhaltig leben und die Welt zu einem besseren Ort machen) mobilisieren. Doch diese beiden Milieus machen weniger als 20% der Gesamtbevölkerung aus. Wer in sozialen Medien schaut, wer mit wem verknüpft ist, erkennt, dass die For Future Gruppen natürlicherweise vor allem anderen For Future Gruppen und anderen ähnlich denkenden Organisationen, wie dem PIK, German Zero oder der Klimaliste, oder Individuen folgen. Man liked sich gegenseitig und erntet gelegentlich viel Zustimmung, wobei einige hundert likes schon ordentlich sind (im Vergleich: in Deutschland leben 83 Mio.). Auch wer auf Demos geht, sieht immer wieder dasselbe Bild, viele junge Menschen (vorwiegend Schüler und Studenten), junge Familien und Alt-68er. Doch wo bleibt der Mainstream? Es sind kaum Menschen aus der Mitte der Gesellschaft die uns folgen oder auf Demos gehen. Auch wenn man Demos in den späten Nachmittag verlegt, kommen kaum andere Menschen. Wir fischen also vorwiegend in den eigenen Reihen. Das soll nicht falsch verstanden werden, der Erfolg von Fridays for Future ist immens, ohne sie gäbe es keinen Green Deal und kein Klimagesetz und vieles mehr. Und wir sind Fridays for Future unendlich dankbar für ihr unermüdliches Engagement und für alles, was sie erreicht haben. Doch bei der nächsten Wahl hilft es nichts, wenn wir die 20% der Gesamtbevölkerung (unsere „Milieus“, siehe oben) komplett erreichen. Selbst dann schaffen wir vermutlich nur eine grün-schwarze Koalition und was dabei rauskommt, haben wir dieses Jahr zur Genüge gesehen. Wir müssen also die gesamte Bevölkerung, d.h. die übrigen 80%, erreichen! Nur dann kommt es entweder zu einer großen Koalition, in der alle Koalitionspartner Klimaschutz wollen oder in der eine Partei genug Stimmen bekommt, um Klimaschutz endlich ernsthaft zu betreiben.
Wie können wir die Mehrheit überzeugen?
Zunächst können wir versuchen die Mehrheit zu verstehen: Was möchten der Bürgerliche Mainstream und andere Milieus, welche Sorgen treiben die Menschen um? Anschließend kann man sich die Frage stellen: Wie wirken unsere Botschaften auf diese Menschen? Wer sich die Studie Umweltbewusstsein Deutschland 2018 anschaut (Kapitel 7) sieht, dass viele Forderungen der For Future Bewegung grundlegende Ängste vieler Menschen schürt. Sog. „traditionelle Milieus“ suchen Stabilität und Sicherheit, nichts soll sich ändern, „etablierte Milieus“ wollen einen hohen Lebensstandard, der „bürgerliche Mainstream“ und weitere Milieus lieben Komfort, fürchten Kosten, Migration und soziale Ungerechtigkeit. Wie wirkt da wohl die Forderung nach „System Change“ und „Wir haben Platz“? Oder die Abschaffung des Kapitalismus? Natürlich sind diese Forderungen berechtigt, aber man muss die Brücke schlagen. Das bedeutet nicht, dass man sich anbiedert, sondern man kommuniziert nur klarer, in einer Sprache, die die anderen verstehen. Volker Quaschning hat in seinem Video „Klimaschutz und Energiewende für AfD und CDU/CSU“ gezeigt, wie das gelingen kann. Beispielsweise kann man die Zusammenhänge zwischen Klimawandel und Migration aufzeigen, dass Klimawandel inzwischen eine wesentliche Fluchtursache ist, dass die WMO für 2050 mit fast so vielen Flüchtlingen weltweit rechnet wie heute Menschen in Europa leben. Ein ganzer Kontinent wird dann also auf der Flucht sein! Oder man kann zeigen, dass inzwischen auch viele Wirtschaftszweige und Investoren ambitionierten Klimaschutz fordern, weil dieser der Wirtschaft schon jetzt zusetzt. Die Produktion der BASF musste 2018 teilweise eingestellt werden, weil die Verkehrsschifffahrt auf dem Rhein nicht mehr möglich war. Man kann klar machen, dass For Future und selbst traditionelle Milieus im Grunde genau dasselbe wollen: Den Planeten erhalten – oder in der Sprache der traditionellen – unser schönes Land als Heimat erhalten, so dass Wohlstand auch in naher Zukunft noch möglich ist.
Abschlusss
Welche Gefühle entstanden nun beim Lesen dieses Textes? Waren die Argumente schlüssig oder fühltest Du Dich beim Lesen unwohl oder angegriffen? Oder beides? Kamen Fragen auf wie: Wieso sollten wir uns damit abgeben, zu verstehen, wie die übrigen 80% der Bevölkerung denken? Ist es nicht vielmehr ihre Pflicht zu handeln, nachdem sie über Jahrzehnte den Planeten versaut haben? Falls solche Gedanken und dazugehörige Gefühle aufgekommen sein sollten, könnte dieses Video über psychologsiche Mechanismen im Klimaschutz helfen (siehe auch diesen sehr guten Artikel der Psychologists for Future). Die Frage stellt sich, warum kämpfen wir eigentlich? Tun wir das, weil wir uns unbewusst oder bewusst dadurch gut fühlen, d.h. denken möchten, dass wir für das richtige einstehen und deshalb unsere edlen Motive über die Andersdenkender stellen? Oder ist das oberste Ziel den Klimawandel aufzuhalten? Beides gleichzeitig kann man kaum schaffen. Zumindest nicht, ohne die eigenen Weltbilder und Reaktionen und die des Zielpublikums zu verstehen. Wird das Weltbild des Gegenübers angegriffen, wird Mensch nicht empfänglich für Klimaschutz sein. Greift man Gemeinsamkeiten auf, ist dies vielleicht möglich.
Wie schön wäre es, wenn Fridays for Future, XR, Ende Gelände und die anderen einen ähnlichen Erfolg hätten, wie damals Gandhi oder Nelson Mandela. Allerdings hatten diese die breite Bevölkerung hinter sich. Dies ist bisher bei uns nicht so. Die Zustimmung der breiten Bevölkerung zusammen mit der überwältigenden Macht des friedlichen Protests, hat einen grundlegenden Wandel ermöglicht. Nach Bischof Tutus Beobachtung sah Nelson Mandela einen Feind als jemand der darauf wartet, zum Freund bekehrt zu werden[4]. Mandela soll trotz Jahren im Gefängnis gesagt haben „behandle Deine Feinde mit Respekt und Mitgefühl“[5]. Lasst uns also versuchen, die Mehrheit zu gewinnen. Und lasst uns die Sprache verwenden, die nötig ist, damit unsere Nachricht verstanden wird.
Quellen
[1] https://www.youtube.com/watch?v=nTg6Rqlz6ts
[2] https://www.psychologistsforfuture.org/psychologie-der-klimakrise/sozialpsychologie/terror-management-theorie/
[3] https://www.youtube.com/watch?v=HrNBfUaMTcs
[4] https://www.spiegel.de/fotostrecke/nelson-mandela-und-sein-kampf-gegen-die-apartheid-fotostrecke-162348.html
[5] https://www.ft.com/content/a342e372-5c64-11e3-931e-00144feabdc0